Das Klima und der Eisenbahn-Blues

Die europäischen Güterbahnen haben sich in einem „Weißbuch“ hohe Ziele gesetzt. Die national orientierte Verkehrspolitik tut alles, damit sie diese nicht erreichen.

(c) Clemens Fabry

Josef Urschitz
01.02.2019 um 07:08

  DIE BILANZ  Ein bisschen verschämt ist es diese Woche verkündet worden: Die Treibhausgasemissionen sind in Österreich jetzt schon zum dritten Mal in Folge gestiegen statt gesunken. Österreich wird seine festgelegten Klimaziele damit wohl verfehlen. Jetzt könnte man natürlich darüber diskutieren, welchen Einfluss auf das Weltklima eine Veränderung im niedrig einstelligen Prozentbereich eines Landes hat, das insgesamt für gerade einmal 0,44 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich ist. Aber Zielwert ist nun einmal Zielwert.

Das Problem, entnimmt man der Website des Umweltbundesamt, war diesmal besonders stark der Straßengüterverkehr. Das ist kein Wunder, denn brummende Konjunktur sorgt nun einmal für erhöhtes Transportvolumen. Und dessen Zuwachs nimmt traditionell, allen Verlagerungsbeteuerungen zum Trotz, der Lkw-Verkehr auf. Auch in Österreich, wo die Güterbahn mit einem 30-prozentigen Anteil am Transportvolumen in Europa weit vorn mitfährt. EU-weit sind es gerade einmal 18 Prozent.

Warum schafft die Bahn in Europa eigentlich die Verkehrswende auf dem Gütermarkt nicht? Auskunft gibt ein Weißbuch, das die Bahnen im Rahmen ihrer „Rail Freight Forward“-Initiative selbst erstellt und in dem sie ihr strategisches Ziel bis 2030 festgelegt haben: 30 Prozent Marktanteil europaweit.

Ein eher moderates Ziel, denn bei einem bis dahin erwarteten Transportzuwachs von 30 Prozent würde der Straßengüterverkehr noch immer um zehn Prozent wachsen. Aber ein ambitioniertes für die Bahnen: Die müssten ihr Transportvolumen dafür verdoppeln. Etwas, das ihnen nur mit massivster politischer Hilfe auf Europaebene gelingen könnte. Und eine solche zeichnet sich weit und breit nicht ab.

Woran es bei der europäischen Güterbahn krankt, zeigt das Weißbuch anhand der Darstellung eines Transports von Deutschland in die Türkei sehr schön: Der Lkw-Fahrer steigt in seinen Truck, fährt die 2800 Kilometer und lädt am Endpunkt ab. Die Bahn durchfährt das Gebiet von sieben Bahnverwaltungen, muss sich auf dem Weg mit sechs verschiedenen Zugbeeinflussungssystemen auseinandersetzen und elfmal den Lokführer wechseln.

Es gibt also immer noch kein durchgängiges europäisches Bahnsystem, und es gibt auch keine koordinierte Investitionspolitik: Statt gezielt die zahlreichen Engstellen im Netz zu beseitigen, werden schwerpunktmäßig nationale Prestigeobjekte – etwa riesige Tunnel mit zweifelhaftem Nutzen – forciert. Was erklärt, wieso der gigantische Mitteleinsatz so mäßige Resultate zeitigt.

Natürlich haben die Bahnen Ideen, wie sie ihr Ziel erreichen könnten. Unter anderem durch Harmonisierung der verschiedenen Systeme und durch Digitalisierung. Wobei Fachleute allerdings skeptisch sind: „Digitalisierung über ein schlechtes System zu stülpen vergrößert die Probleme eher“, sagt etwa der Chef des Schienenlogistikunternehmens Grampetcargo Austria, Friedrich Macher. Der meint, dass man die Durchgängigkeit des Systems (einheitliche Zugführungssysteme, Beseitigung von Engstellen etc.) sicherstellen solle, bevor man dann erfolgreich digitalisiere.

Vor allem aber: Überregionale Verkehrsnetze wie etwa die TEN-Strecken (TEN steht für transeuropäische Netze) sollten, um sinnvolle Investitionen zu garantieren, auf EU-Ebene gehoben und damit dem nationalen Zugriff entzogen werden. Nur so lasse sich der bestehende Fleckerlteppich (beispielsweise ein Brenner-Tunnel ohne vernünftige Zulaufkapazität in Deutschland) reparieren.

Was natürlich nicht geschehen wird. Denn Eisenbahn ist immer noch eine zutiefst nationale Angelegenheit. Wie sehr die europäische Politik da danebenliegt, sieht man an den Widerständen gegen die Fusion der Eisenbahnsparten von Alstom und Siemens: Die beiden erzeugen ja nicht nur Züge und Lokomotiven, sondern sind de facto die europäischen Anbieter von Signaltechniksystemen. Und zwar von unterschiedlichen.

Ein Zusammenschluss der beiden würde also nicht nur ein global konkurrenzfähiges Konglomerat schaffen, sondern auch für eine Vereinheitlichung der europäischen Zugleitsysteme sorgen. Und damit ein wesentliches Hindernis für die Durchgängigkeit der Gütertransporte beseitigen.

Das wird von der Politik blockiert, so wie die Politik sinnvolle europäische Investitionskoordination verhindert. Der europäische „Freight Train Blues“ ist also ein zutiefst politisches Problem. Und damit in nächster Zeit wohl nicht beseitigbar.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 01.02.2019)

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