So lang die europäischen Bahnnetze nicht zentral, sondern von Nationalstaaten geplant und gebaut werden, bleibt die Transportverlagerung auf die Schiene Wunschdenken.
Warum schaffen die EU-Länder die politisch seit Jahrzehnten fixierte Verlagerung von Gütertransporten auf die Schiene nicht, obwohl in vielen Ländern (darunter Österreich) sehr viel mehr in Eisenbahninfrastruktur investiert wird als in die Straße? „Nationalstaaterei und fehlende Interoperabilität“, sagt Friedrich Macher, als Chef der Österreich-Tochter des Schienenlogistikunternehmens Grampetcargo und Ex-Vorstand der ÖBB-Güterverkehrstochter Rail Cargo intimer Kenner des europäischen Eisenbahnwesens.
Übersetzt: Wer einen Lkw-Führerschein besitzt, setzt sich in Athen in den Fernlaster und fährt ohne Probleme beispielsweise nach Göteborg durch. Ein Lokführer kann das nicht: Er muss für jeden Lokomotiventyp und für jede Teilstrecke Streckenprüfungen ablegen – und verliert die Berechtigung dafür wieder, wenn er sie nicht regelmäßig befährt.
Zudem zwingen unterschiedliche Strom- und Signalsysteme zu Lokwechseln. Ein Güterzug von Athen nach Göteborg steht also wegen Personal- und Lokwechseln an zahlreichen Grenzen und wird zudem von nicht wenigen kapazitätsbegrenzenden Engstellen gebremst, die auf die zersplitterte, an nationalen Erfordernissen orientierte Investitionspolitik der EU-Staaten zurückgeht.
Das ist teuer, ineffizient und ein wesentlicher Punkt, warum die Schiene im Langstreckenverkehr – in dem sie theoretisch wirtschaftliche Vorteile haben müsste – nicht punkten kann. Und was soll man dagegen tun? „Die Kompetenz für die übergeordnete Bahninfrastruktur gehört den Nationalstaaten entzogen und nach Brüssel“, meint Logistikexperte Macher. Zumindest die für die so genannten TEN-Strecken (TEN steht für TransEuropäische Netze).
Da ist was dran. Würde man zumindest auf diesen derzeit neun quer durch Europa gezogenen Bahnlinien Signal-, Strom- und Kommunikationssysteme vereinheitlichen und gezielt Engstellen beseitigen, dann könnte die Güterbahn auf diesen Routen den Fernlastern durchaus Konkurrenz machen. Mit der praktizierten Kleinstaaterei ist das aber nicht möglich. Zwar gibt es auf EU-Ebene zahlreiche Organisationen und Kommissionen, die sich schon lang mit dem Thema befassen, aber sie kommen gegen nationale Interessen nicht an.
Man sieht das am besten bei den Investitionen in die TEN-Strecken. Besonders an zweien, die durch Österreich führen: die Verbindung Berlin–Palermo über den Brenner. Und die (in der Praxis freilich nur in der Fantasie der Planer existierende) sogenannte Baltisch- Adriatische Achse, deren zentraler österreichischer Teil die Koralmbahn samt Megatunnel ist.
Hier werden Dutzende Milliarden Euro verpulvert, ohne dass es vernünftige Zu- und Ablaufstrecken gibt. Der Brenner-Basistunnel beispielsweise hängt völlig in der Luft, weil Deutschland und Italien nicht daran denken, ihre Zulaufstrecken auszubauen. Es ist, als würde man eine Engstelle in einem Rohrsystem dadurch beseitigen wollen, indem man an anderer Stelle ein dickeres Rohr einfügt.
Eine sinnvolle Investitionspolitik würde also auf dem Weg von Berlin nach Palermo zuerst die wirklichen Engstellen in Deutschland und Italien beseitigen. Wenn es sich danach als notwendig erweisen sollte, kann man den Tunnel ja immer noch bauen.
Eine solche sinnvolle Investitionspolitik ließe sich aber nur verwirklichen, wenn sie zumindest für die TEN-Strecken zentral gesteuert wird. So bestehen diese Strecken überwiegend aus einem Flickwerk von nationalen Prestigeprojekten ohne vernünftige Verbindung untereinander. Wenn man ein Zehntel der österreichischen Tunnelkosten in die Beseitigung von Engstellen gesteckt hätte, wäre der Effekt wohl um ein Vielfaches höher, sagen Verkehrsexperten.
Österreich, das eine vergleichsweise sehr bahnfreundliche Politik betreibt und auch auf einen außerordentlich hohen Bahnanteil bei den Gütertransporten kommt, kann da freilich wenig unternehmen. Die Kapazitätsbremsen liegen überwiegend außerhalb des Staatsgebiets. Es könnte höchstens seine eigenen Investitionen stärker von unsinnigen nationalen Prestigeprojekten zu im europäischen Kontext sinnvollen Vorhaben umleiten.
So, wie es derzeit läuft, wird es mit den von der Politik seit vielen Jahren ziemlich großspurig angedachten Zielen für die Transportverlagerung von der Straße auf die Schiene jedenfalls nichts. Es wäre schon technisch nicht möglich: Wegen der zahlreichen Kapazitätsengpässe auf den internationalen Routen (und diese liegen definitiv nicht am Brenner und unter der Koralm) würde schon die Änderung des Schienenanteils um wenige Prozentpunkte zu einem Kollaps des Systems führen.
Fazit: Wenn irgendjemand mehr Europa dringend benötigen würde, dann die Bahn. Aber es gibt leider wenige Bereiche, bei denen die europäische Idee von ihrer Verwirklichung so weit entfernt ist und schädlicher Wirtschaftsnationalismus solche Blüten treibt wie bei den Eisenbahnern.
Mit freundlicher Genehmigung der Presse
Josef Urschitz
05.10.2018 um 07:17
S.g. Herr CEO Prof. Macher!
Ich möchte vorerst zur Grampetcargo Austria GmbH gratulieren, welche sich ernsthaft und professionell für den grenzüberschreitenden Güterverkehr, und den Transport auf der Schiene im Allgemeinen einsetzt!
Zu Ihrer Firmenwebseite bin ich über die Aktion „Rettet die Donauuferbahn“ gekommen, und möchte Sie wirklich herzlich bitten, wenn es nur einigermaßen für Ihr Unternehmen realistisch erscheint sich um diesen wertvollen Streckenteil anzunehmen! Und vielleicht schon in absehbarer Zukunft werden – v.a. im Hinblick auf den unbedingt notwendigen Klimaschutz – die Bahntrassen sehr wertvoll werden; wenn man nur bedenkt, wie schwierig es ist neue Bahntrassen, auch noch so kleine, durchzusetzen.
Der Artikel „Der sauteure Bahn-Nationalismus“ trifft die jetzige Problematik sehr gut, und ist schon seit vielen Jahrzehnten ein Thema; man denke nur an die europäische automatische Einheitskupplung, etc.
Das mit den milliardenteuren Tunnelprojekten bringt leider eine besondere Schieflage in die österreichische Eisenbahninfrastruktur, da gleichzeitig aus Kostengründen wertvolle Verbindungen im Netz ausgedünnt werden (wie z.B. Leobersdorf – Traisen, Ybbstalbahn, oder eben die Donauuferbahn, etc.), sodass wiederum ein flächendeckender Güterverkehr auf der Schiene verunmöglicht wird.
Dann wollte ich zu Ihrem geschätzten Artikel noch anmerken, dass man vielleicht den nationalen Eisenbahnunternehmen nicht so große Macht zuschreiben sollte, sondern vielmehr der Verkehrspolitik die dahinter steht … und so vielleicht so manche Engstelle sogar gewollt ist, um damit beweisen zu können, dass man z.B. auf den LKW-Güterverkehr leider angewiesen ist.
Und möchte Sie abschließend nochmals, auch im Namen meiner Kinder, sehr bitten sich für die Erhaltung der Donauuferbahn so weit wie möglich einzusetzen!
Danke für Ihr wohltuendes Feedback!
Wir betreachten dies als Ansporn für unsere Grundhaltung.